Nicht nur Zoll – nichttarifäre Handelshemmnisse durch den Brexit


vom 27.11.2020

 

Alle Welt redet und schreibt über die Zollschranken, die durch den (harten) Brexit zwischen Großbritannien und der EU entstehen werden. Die kommen übrigens auch mit einem Abkommen, denn die im Warenverkehr mit einem Drittland üblichen Zollformalitäten werden in jedem Fall durchzuführen  sein; ohne Abkommen sind nur zusätzlich die normalen Zollabgaben zu entrichten, die durch ein Freihandelskommen teilweise gemindert werden würden. Für viele Unternehmen wird aber der Verwaltungsaufwand für die Zollabwicklung gravierender sein als die eigentlichen Zollabgaben, und auch mit einem Abkommen kann es sein, dass für etliche Unternehmen der Aufwand für die Präferenzkalkulation, die zur Nutzung dieses Freihandelsabkommen notwendig sein wird, größer ist als die mögliche Zollersparnis (vgl. Ausgabe 4 dieses Newsletters).

 

 

 

Tarifäre Handelshemmnisse

 

Die Zölle sind bewusst gesetzte Handelshemmnisse, um die eigene Wirtschaft zu schützen oder andere wirtschaftspolitische Interessen zu verfolgen. Da diese in dem Zolltarif festgesetzt werden, nennt man sie tarifäre Handelshemmnisse. Neben den Zöllen gehören auch Mengenbeschränkungen für Importe (Kontingente), die sich in der Regel auf Waren aus bestimmten Herkunftsländern beziehen, oder umgekehrt auch zeitlich oder mengenmäßig begrenzte Zollaussetzungen bzw. Zollerleichterungen für eine Warengruppe zu den tarifären Maßnahmen.

 

Seitens der EU sind nach Einschätzung des Autors keine Mengenbeschränkungen für Großbritannien zu erwarten, weil die EU vermeiden wird, den Konflikt unnötig zu verschärfen. Großbritannien dürfte auch kein großes Interesse an solchen Maßnahmen haben, denn die Versorgung der Bevölkerung hängt stark von Importen ab. Bei Boris Johnson weiß man aber nie, was er notfalls als Druckmittel verwenden wird. Von Zollaussetzungen werden grundsätzlich auch Importe aus Großbritannien profitieren können.

 

 

 

Nichttarifäre Handelshemmnisse

 

Alle anderen Umstände, die den Außenhandel schwieriger oder aufwendiger machen als den Handel im eigenem Wirtschaftsraum, nennt man nichttarifäre Handelshemmnisse. Diese sind überwiegend nicht bewusst als Handelshemmnis aufgebaut worden, sondern sind entweder eine unvermeidliche Begleiterscheinung wie der o.g. Verwaltungsaufwand für die Zollabwicklung oder dienen dazu, Gefahren für das Leben und die Gesundheit der Bürger, den Jugendschutz, die Umwelt, den Artenschutz, usw. oder für den sicheren Betrieb anderer Produkte abzuwenden.

 

Es können auch wirtschaftspolitische Interessen durch solche Handelshemmnisse verfolgt werden, einerseits offiziell in Form der o.g. Mengenbeschränkungen und Kontingente; andererseits inoffiziell durch bürokratische Schikanen, durch die der Import von nicht erwünschten Gütern auch ohne Zollschranken, die gegen WTO-Regeln verstoßen würden, erschwert wird. Ein klassisches Beispiel zur Begrenzung der Importe von Unterhaltungselektronik aus Fernost beschreibt der Spiegel  am 8.11.1982: „Besonders deutlich wird die schikanöse Taktik der Franzosen bei Geräten der Unterhaltungselektronik: Alle importierten Video-Recorder werden neuerdings nach Poitiers zur zollamtlichen Abfertigung geschafft und HiFi-Anlagen nach Clermont-Ferrand. In beiden Provinzstädten sind die Behörden überfordert, so daß mit beträchtlichen Verteuerungen und Verzögerungen in der Auslieferung zu rechnen ist.“  Heutzutage tut sich insbesondere die Türkei damit hervor, durch solche Schikanen den freien Warenverkehr mit der EU zu behindern, der in der Zollunion vereinbart wurde. Man wundert sich, wieso die EU gute Miene zum bösen Spiel macht, statt die einseitig ausgehöhlte Zollunion der Türkei zu kündigen. Ob Großbritannien eine solche Karte spielen wird, bleibt abzuwarten, aber die Überforderung der britischen Zollbehörden wird auch ohne taktische Maßnahmen den Import behindern.

 

Die Konsequenzen, die sich aus den Anforderungen für den sicheren Betrieb vieler Industrieprodukte ergeben, also insbesondere die CE-Kennzeichnung, wurden im letzten Newsletter behandelt. Hier hat Großbritannien Übergangsregelungen geschaffen, die – trotz des damit verbundenen Aufwands – im Ergebnis gravierende Probleme vermeiden werden.

 

 

 

Einfuhrkontrolle

 

Da Großbritannien ab dem 1.1.2021 den Status eines Drittlandes haben wird, sind auch alle anderen Regelungen zu beachten, die im Außenhandel mit Drittstaaten gelten. Dazu gehören beim Import  insbesondere die Verbote und Beschränkungen, die den nach §1 AWG grundsätzlich genehmigungsfreien Warenverkehr einschränken. Diese gliedern sich in Maßnahmen zum Schutz

  • der öffentlichen Ordnung
  • der menschlichen Gesundheit, der Tier- und Pflanzenwelt
  • des Kulturguts von künstlerischem, geschichtlichem oder archäologischem Wert
  • des gewerblichen und kommerziellen immateriellen Eigentums (Patente, Marken, …)
  • der Umwelt des ökologischen Landbaus

 

Zu jeder dieser Kategorien gibt es eine Vielzahl von Unterpunkten, die den Rahmen dieses Artikels sprengen würden. Die Rechtsgrundlagen hierfür sind in vielen Fällen nationale Gesetze, z.B. das Arzneimittelgesetz, aber auch internationale Abkommen, z.B. das Washingtoner Artenschutzabkommen.

 

Die Maßnahmen können aus Einfuhrverboten bestehen, z.B. bei Produkten aus bedrohten Tierarten wie Elfenbein, oder es ist eine Genehmigung, Bewilligung oder Zulassung, z.B. bei Feuerwerkskörpern durch die Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM), erforderlich. Es kann auch die Vorlage von Dokumenten, z.B. Ursprungszeugnissen, verlangt werden.

 

In der Regel gelten diese Maßnahmen unabhängig vom Herkunftsland, sie richten sich also nicht speziell gegen Großbritannien, wenn es 2021 Drittland ist. Aber es kommt eben viel an Prüf- und Verwaltungsaufwand hinzu, der im gemeinsamen Binnenmarkt nicht nötig war. In einem – leider nicht mehr wahrscheinlichen – Abkommen zwischen der EU und Großbritannien könnten für einige Punkte Erleichterungen geschaffen werden, z.B. in der gegenseitigen Anerkennung von Zulassungen.

 

 

 

Ausfuhrkontrolle

 

Manche dieser Einschränkungen gelten auch beim Export, zum Beispiel unterliegen Kunstwerke und anderes Kulturgut, deren Abwanderung aus der EU und damit auch aus Deutschland einen wesentlichen Verlust für den europäischen und nationalen Kulturbesitz bedeuten würde, besonderen Schutzmaßnahmen.

 

Der wesentlichste Teil der Ausfuhrkontrolle besteht aber aus der Durchsetzung der politisch motivierten Embargos und Sanktionen, die auf dem nationalen Außenwirtschaftsgesetz, EU-Recht oder UN-Beschlüssen beruhen. Es ist natürlich nicht zu erwarten, dass gegen Großbritannien ein Embargo verhängt wird, aber für Waffen und alle Produkte, Dienstleistungen und Technologien, die sowohl zivil als auch militärisch bzw. für Repression verwendet werden können (doppelte Verwendung), besteht grundsätzlich eine Genehmigungspflicht bei der Ausfuhr. Diese ergibt sich aus der Dual-Use-Verordnung (EG) Nr. 428/2009 in der jeweils aktuellen Fassung (Stand 31.12.2019), der Anti-Folter-Verordnung (EU) 2019/125 (aktueller Stand 27.05.2020: ), und der nationalen Ausfuhrliste (s. z.B. https://www.bafa.de/DE/Aussenwirtschaft/Ausfuhrkontrolle/Gueterlisten/gueterlisten_node.html).Auch beim Export nach Großbritannien muss also zukünftig für alle Waren geprüft werden, ob ihre Ausfuhr genehmigungspflichtig ist, und ggf. eine Ausfuhrgenehmigung beantragt werden.

 

Für acht  besonders zuverlässige Drittstaaten (Australien, Japan, Kanada, Liechtenstein, Neuseeland, Norwegen, Schweiz und USA) hat die EU eine Allgemeingenehmigung (AGG Nr. EU001) für die meisten Dual-Use-Güter erlassen; dies bedeutet, dass keine Genehmigung für den konkreten Fall beantragt werden muss, der Exporteur muss sich nur beim BAFA registrieren und die Exporte melden. Es ist zu erwarten, dass die EU diese Allgemeingenehmigung auf Großbritannien erweitert, wenigstens wenn es zu einem Brexit-Abkommen kommen sollte. Die Meldepflicht und die i.a. aufwendige Prüfung, ob ein Produkt genehmigungspflichtig ist, entfällt dadurch aber nicht!

 

 

 

REACH

 

Weil von chemischen Stoffen erhebliche Gefahren ausgehen können, dürfen nach der REACH-Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 (aktueller Stand 24.08.2020) nur noch chemische Stoffe in Verkehr gebracht werden, die vorher geprüft und registriert worden sind. Jeder Hersteller oder Importeur, der seine Stoffe, die in den Geltungsbereich von REACH fallen, in Verkehr bringen will, muss für diese Stoffe eine eigene Registrierungsnummer besitzen.  REACH steht für Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals‚ deutsch: Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung von Chemikalien. Die Registrierung erfolgt bei der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA, englisch: European Chemicals Agency).

 

Durch den Brexit werden alle Registrierungen von britischen Firmen ungültig, und umgekehrt gelten die europäischen Registrierungen ab dem 1.1.2021 nicht mehr in Großbritannien. Anwender, die von britischen Firmen registrierte Stoffe weiterhin in der EU einsetzen wollen, müssen deshalb dringend handeln. Es gibt folgende Möglichkeiten:

 

  • Bezug des Stoffes oder eines geeigneten Ersatzstoffes von einem EU-Lieferanten
  • der britische Lieferant verlagert seine Firma in die EU und nimmt die Registrierung mit
  • der britische Lieferant überträgt die Registrierung an einen Repräsentanten in der EU

 

Für die letzten beiden Möglichkeiten läuft die Frist allerdings am 15.12.2020 ab! Alle wichtigen Informationen zu dem umfangreichen Themenfeld findet man bei der ECHA.

 

Ähnlich wie bei der CE-Kennzeichnung hat Großbritannien eine eigene Registrierung (UK-REACH) eingeführt und dabei die EU-Regeln in nationales Recht übernommen. Britische Firmen, die eine EU-REACH-Registrierung haben, können diese sogar direkt in eine UK-REACH-Registrierung übernehmen. Aber EU-Firmen, die weiterhin chemische Stoffe nach Großbritannien liefern wollen, benötigen dort ab 2021 eine UK-REACH-Registrierung. Die technischen Unterlagen können zwar von der EU-Registrierung übernommen werden, aber es entsteht doch ein nicht zu unterschätzender Aufwand für die Durchführung des Verfahrens. Und auch hier ist Eile geboten, denn die Kapazität der zuständigen britischen Behörde HSE (Health and Safety Executive) dürfte begrenzt sein.

 

 

 

Bei allen diesen Themen sind sehr viele Details zu beachten, die den Rahmen dieses Artikels sprengen würden. Gerne unterstützen wir Sie bei Ihren konkreten Fragen.

 

 

Autor: Prof. Dr. Tilko Dietert

Professur für Wirtschaftsingenieurwesen, Hochschulzentrum Nürnberg,

FOM Hochschule für Oekonomie und Management gGmbH, Essen, und

Lean Management Consulting, www.leanmanagementconsulting.de,

Tel. 09831-619225, Mail tilko@dr-dietert.eu