Brexit: Verlieren meine Produkte nun die Zulassung im United Kingdom?


Erscheinungsdatum 20.11.2020


Die gute Nachricht vorab: Nein, so schlimm ist es nicht, aber es gilt doch einiges zu beachten.

 

In der EU, aber auch in vielen anderen Ländern, dürfen nur Waren in den Verkehr gebracht werden, die bestimmte Bedingungen erfüllen; damit sollen Gefahren für das Leben und die Gesundheit der Bürger, die Umwelt oder für den sicheren Betrieb anderer Produkte (Vermeidung von Störungen) abgewendet werden. Grundsätzlich muss natürlich jedes Produkt, das in der EU in den Verkehr gebracht wird, alle geltenden Rechtsnormen erfüllen, wie in Art. 1 des Beschlusses Nr. 768/2008/EG betont wird; und schon wegen der Produkthaftung sollte jeder, der ein Produkt in den Verkehr bringt, darauf achten, dass davon keine Gefährdungen ausgehen. Für viele Produkte, bei denen erhöhte Risiken bestehen, wird darüber hinaus gemäß dem o.g. EG-Beschluss eine Konformitätserklärung verlangt, dass die - in diesen Fällen speziellen - Richtlinien eingehalten werden, und das Produkt muss dann die CE-Kennzeichnung tragen.

 

In anderen Ländern gelten entsprechende nationale Vorschriften, z.B. muss in China die Konformität mit dem CCC-Label dokumentiert werden. Es ist eine große Errungenschaft des gemeinsamen Binnenmarkts, dass in Europa nur eine Konformitätserklärung erforderlich ist, und zwar nicht nur in der EU, sondern im gesamten Europäischen Wirtschaftsraum (EWR), also neben der EU in den EFTA-Staaten Norwegen, Island und Liechtenstein. Mit anderen Ländern, u.a. der Schweiz, Kanada, Australien und Neuseeland, bestehen Abkommen zur (teilweisen) gegenseitigen Anerkennung der Konformität.

 

Auswirkungen durch den Brexit

Mit dem Brexit verlässt Großbritannien den gemeinsamen Binnenmarkt, damit verlieren auch die Zulassungsregeln des EWR dort ihre Gültigkeit. Es gibt Spekulationen, dass Großbritannien wieder der EFTA beitreten könnte, da dieses aber mit einer relativ engen Bindung an die EU verbunden ist, schätzt der Autor die Wahrscheinlichkeit dafür gering ein.

 

In einem Brexit-Abkommen könnte mit Großbritannien eine solche gegenseitige Anerkennung der Konformität vereinbart werden, ohne dass eine zu enge Bindung an die EU erfolgen müsste. Die Wahrscheinlichkeit, dass in den verbleibenden sechs Wochen noch ein Abkommen abgeschlossen und ratifiziert wird, dürfte aber gering sein. Das in den letzten beiden Wochen fast nichts mehr über die Brexit-Verhandlungen an die Öffentlichkeit gedrungen ist, kann ein gutes Zeichen sein, aber auch bedeuten, dass es keine Fortschritte gegeben hat. Ein ermutigendes Signal ist die Ablehnung des Binnenmarktgesetzes durch das britische Oberhaus; wenigstens diese Parlamentskammer trägt den geplanten Rechtsbruch, der ein Abkommen mit der EU sehr erschwert hätte, nicht mit. Auch der Rückzug des Brexit-Hardliners Dominic Cummings könnte Fortschritte erleichtern, wenn es nicht zu Trotzreaktionen des angeschlagenen Prime Ministers Johnson kommt.

 

Aber auch ohne Abkommen fällt man hier nicht ins Leere: Großbritannien hat zur Aufrechterhaltung der nationalen Versorgung eine eigene Regelung (UKCA-Label) eingeführt mit Übergangsregelungen zur CE-Kennzeichnung. Vor deren Vorstellung soll kurz die CE-Systematik erläutert werden:

 

Konformitätserklärung und CE-Kennzeichnung

 

Die CE-Konformitätserklärung ist nur erforderlich bei den Produktgruppen, die den Harmonisierungsrechtsvorschriften der Gemeinschaft unterliegen und damit auch speziellen Richtlinien, die auszugweise in der weiter unten angeführten Tabelle dargestellt werden. Umgekehrt benötigen andere Produkte nicht nur keine CE-Kennzeichnung, sie dürfen sie auch nicht tragen, ein Verstoß dagegen hätte sogar strafrechtliche Konsequenzen. Übrigens, auch wenn für die Konformität etliche Anforderungen aus dem Qualitätsmanagement zu erfüllen sind, ist die CE-Kennzeichnung kein Qualitätssiegel.  

Produktgruppe / Technikgebiet / kritische Eigenschaft

Richtlinie / Verordnung

Elektrische Betriebsmittel

2014/35/EU (Niederspannungsrichtlinie)

Maschinen

2006/42/EG (Maschinenrichtlinie)

Aufzüge

2014/33/EU

Bauprodukte

(EU) 305/2011

Spielzeug

2009/48/EG

Medizinprodukte (keine Medikamente und Diagnostika)

(EU) 2017/745 (Medical Device Regulation (MDR))

Beschränkung der Verwendung gefährlicher Stoffe in Elektro- und Elektronikgeräten (RoHS)

2011/65/EU

Elektromagnetische Verträglichkeit (EMV)

2014/30/EU

Lärmemissionen in die Umwelt

2000/14/EC (Outdoor-Richtlinie)

Umweltgerechte Gestaltung energieverbrauchsrelevanter Produkte

2009/125/EC (Ökodesign-Richtlinie)

u.v.m.

 

 

Wie man schon an diesem Auszug erkennt, kann ein Produkt in den Gültigkeitsbereich mehrerer Richtlinien fallen, z.B. eine Maschine neben der Maschinenrichtlinie der Niederspanungsrichtlinie unterliegen, wenn sie elektrische Komponenten enthält, und dann auch allgemeineren Richtlinien, beispielsweise EMV und RoHS.

 

Wie kommt man nun zur CE-Konformitätserklärung? Zunächst muss man sorgfältig analysieren, welche Richtlinien zu erfüllen sind. In vielen Fällen darf der Hersteller nämlich selbst prüfen, ob er alle Anforderungen aus den Richtlinien einhält und dann die Konformitätserklärung ausstellen sowie das Produkt mit CE kennzeichnen. Für stärker risikobehaftete Produkte kann auch eine Überprüfung durch eine zugelassene Zertifizierungsstelle („notifizierte Stelle“, z.B. TÜV, DEKRA u.v.m., eine Liste der deutschen Stellen findet man hier), z.B. bei Aufzügen, oder durch eine staatliche Behörde, z.B. bei Medizinprodukten, vorgeschrieben sein. Erkennbar ist dieses Vorgehen daran, dass dann hinter dem CE-Zeichen die vierstellige Kennnummer jener Stelle angegeben wird. Es ist deshalb wichtig, alle relevanten Richtlinien zu ermitteln, um zunächst festzustellen, ob man die Konformitätserklärung selbst abgeben darf. Aber auch wenn das zutrifft, kann man die Hilfe einer solchen Stelle in Anspruch nehmen, wenn die eigenen Kompetenzen nicht ausreichen, um die Anforderungen zu prüfen.  

 

Beim Import von solchen Produkten ist der Importeur für die Konformitätserklärung zuständig. Da er i.a. das Produkt nicht so detailliert kennt, muss er die notwendigen Informationen beim Hersteller einholen, idealerweise führt der Hersteller die komplette Prüfung durch und bringt bereits die CE-Kennzeichnung an. Zu beachten ist aber, dass der Hersteller nicht dem EU-Recht unterliegt und die Verantwortung für die Richtigkeit der Konformitätserklärung allein beim Importeur liegt! Auch in diesem Fall kann es ratsam sein, die Konformität freiwillig durch eine notifizierte Stelle prüfen zu lassen.

 

Es gibt weitere Produktgruppen, für die spezielle Richtlinien gelten, aber eine CE-Kennzeichnung nicht vorgesehen und zugelassen ist, insbesondere:

  • Verpackungen (94/62/EG)
  • Schiffsausrüstung (96/98/EG), hier gibt es ein eigenes Konformitätszeichen in Form eines symbolisierten Steuerrades
  • Sonstige technische Arbeitsmittel und Verbraucherprodukte, falls für sie keine Richtlinie mit CE-Kennzeichnungspflicht gilt (2001/95/EG)

Für einen großen Teil aller Industrieprodukte ist also das In-Verkehr-Bringen reglementiert!

 

 

Export nach Großbritannien

 

Zurück zum Brexit: Unabhängig von etwaigen Austrittsabkommen hat Großbritannien eigene Regelungen mit dem UKCA-Label (UK Conformity Assessed) geschaffen und dabei die aktuellen Harmonisierungsvorschriften der EU in nationales Recht übernommen. Inhaltlich kann man deshalb zunächst ohne Bedenken das UKCA-Label verwenden, wenn das Produkt CE-konform ist. Das kann sich aber ändern: Sowohl die EU als auch Großbritannien könnten die Standards ändern, so dass bereits ab 2021 die Anforderungen auseinanderlaufen können. 

 

Grundsätzlich soll in Großbritannien ab dem 1. Januar 2021 auf allen betroffenen Produkten das UKCA-Label verwendet werden. Es wird aber eine Übergangsfrist bis Ende 2021 eingeräumt, in der das CE-Kennzeichen weiterverwendet werden darf - wenigstens solange für das betroffene Produkt die Anforderungen in der EU und in Großbritannien nicht geändert werden. Diese Regelung gilt aber nicht für alle Produkte, unter folgenden Bedingungen muss ab dem 1. Januar 2021 zwingend das UKCA-Label verwendet werden:

  • das Produkt ist speziell für den britischen Markt bestimmt,
  • die Konformitätsbewertung durch eine notifizierte Stelle ist vorgeschrieben,
  • und diese wurde von einer britischen notifizierten Stelle durchgeführt.

Um die Übergangszeit für das CE-Kennzeichen in diesem Fall nutzen zu können, muss vor dem 31.12.2020 eine Konformitätsbewertung durch eine Stelle in der EU durchgeführt werden.

 

Nur bereits produzierte Produkte mit CE-Kennzeichnung können in jedem Fall aufgebraucht werden, ansonsten sollten EU-Unternehmen ihre Produktion anpassen, um Ware für den britischen Markt korrekt zu kennzeichnen.

 

Für Medizinprodukte gibt es eine verlängerte Übergangsfrist bis zum 30.06.2023, allerdings müssen sie im Laufe des Jahres 2021 (unterschiedliche Fristen je nach Produktkategorie) bei der britischen Medicines and Healthcare products Regulatory Agency (MHRA) registriert werden, und Hersteller außerhalb Großbritanniens müssen einen verantwortlichen UK-Repräsentanten stellen.

 

Eine Ausnahme stellt Nordirland dar, das nach der aktuellen Rechtslage im EU-Binnenmarkt bleibt. Dort gilt weiterhin die CE-Kennzeichnung. Wenn eine britische notifizierte Stelle die Konformitätsbewertung durchführt, wird für den UK-Warenverkehr neben dem CE-Zeichen ein Label UKNI aufgebracht, dieses darf aber nicht verwendet werden, wenn die Ware in die EU exportiert wird.

 

In jedem Fall ist zu beachten, dass beim Export von Waren aus der EU nach Großbritannien (außer Nordirland) der EU-Hersteller zwar das UKCA-Label aufbringen kann und inhaltlich damit auch keine Probleme haben sollte, letztendlich steht aber der UK-Importeur in der Verantwortung.

  

Import aus Großbritannien

 

Umgekehrt ist beim Import von britischer Ware in die EU zwingend die CE-Kennzeichnung erforderlich, ein UKCA-Label ist keinesfalls ausreichend. Wenn die Konformitätsbewertung intern erfolgen darf, wird der britische Hersteller diese durchführen können, auch wenn die Verantwortung dann beim EU-Importeur liegt. Wenn eine externe Konformitätsbewertung vorgeschrieben ist, hängt es von einem entsprechenden noch abzuschließenden Abkommen ab, ob eine britische notifizierte Stelle dazu berechtigt ist. Der Ausgang ist ungewiss.

 

Erfreulicherweise hat Großbritannien die notwendigen Schritte getan, um auf diesem Gebiet einen reibungsarmen Übergang zu gewährleisten. Aber der Teufel steckt im Detail, diese Details sollte deshalb jeder, der Geschäfte mit Großbritannien macht, unverzüglich überprüfen. Gerne unterstützen wir Sie dabei.


Autor: Prof. Dr. Tilko Dietert

Professur für Wirtschaftsingenieurwesen, Hochschulzentrum Nürnberg,

FOM Hochschule für Oekonomie und Management gGmbH, Essen, und

Lean Management Consulting, www.leanmanagementconsulting.de,

Tel. 09831-619225, Mail tilko@dr-dietert.eu